Wenn Corona die Hauptschlagader trifft
17.08.2020 | Die Coronakrise und die einhergehenden Einschränkungen des öffentlichen Lebens haben den Out-of-Home-Markt besonders stark getroffen. Welche Auswirkungen hat dies auf Planungsseite? Raffael Weber, geschäftsführender Gesellschafter bei BRANDLOCAL, gibt im Interview mit HORIZONT einen Einblick in die derzeitigen Entwicklungen.
Alles war denkbar. Die Augenhöhe mit den digitalen Medien. Die uneingeschränkte Unterstützung der Werbekunden. Ja, selbst der Marktanteil von 10 Prozent. Dann kam Corona – und für die Außenwerbung begann eine neue Zeitrechnung. Mit den Menschen auf der Straße verabschiedeten sich im Frühjahr die Aufträge, bis zu 21 Prozent sollen einer Prognose von Magna Global zufolge die Netto-Investitionen in die Gattung einbrechen. HORIZONT zeichnet ein Stimmungsbild einer Branche, deren Hauptschlagader – die Mobilität im öffentlichen Raum – von Corona getroffen wurde. Vermarkter, Spezial- und Mediaagenturen blicken zurück auf die ersten Tage im März, in der ihre Welt eine andere wurde, sprechen über die wichtigsten Punkte auf der To-Do-Liste und prognostizieren, wie es jetzt weiter geht – vorausgesetzt, die zweite Infektionswelle bleibt aus.
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HORIZONT hat einige Vertreter um eine Einschätzung des OoH-Marktes gebeten.
Raffael Weber, Geschäftsführer Brandlocal
Corona und die damit verbundenen Einschränkungen im öffentlichen Leben haben das OoH-Geschäft enorm getroffen. Wie haben sich die vergangenen Monaten bei Ihnen bemerkbar gemacht, was die OoH-Planung betrifft? OoH hat als erstes unter den großen Reichweitenmedien enorm an Reichweite verloren. An manchen Touchpoints wie den Flughäfen ging die Reichweite praktisch auf null zurück. Wiederum andere verloren gar nicht so drastisch beziehungsweise gar nicht wie instore. Dennoch: Die Kunden gingen reihenweise aus OoH raus. So wie wir den Markt aus Gesprächen mit vielen Beteiligten einschätzen, lagen die Storni im April bei circa 50 Prozent und selbst heute sind keine substanziellen neuen Buchungen zu sehen. Das zeigt, dass die Recovery-Phase noch nicht zu Gänze anläuft, Neuaufträge sind wirklich rar. Bei den Kunden ist Abwarten angesagt. Alle haben Angst vor einer zweiten Welle der Pandemie und möchten gerade bei OoH nicht geschönten Aussichten der Anbieter Glauben schenken und unflexible Angebote annehmen. Auf Seiten der Anbieter ist nun Überlebenskampf angesagt. Sie müssen ihr Inventar loswerden. Das können wir verstehen, aber unsere Aufgabe als Agentur ist es, zusammen mit den Kunden sauber die Daten zu durchleuchten und Chancen wie Risiken von OoH in diesen Zeiten immer aufs Neue zu bewerten.
Kai-Marcus Thäsler vom Fachverband Außenwerbung geht davon aus, dass der Corona-bedingte Umsatzeinbruch bis Ende des Jahres kompensiert werden kann. Wie lautet Ihre Prognose für OoH? Kompensation? Das glaube ich – ehrlich gesagt – nicht. Selbst wenn die Buchungen wieder anziehen, was wir in der Breite nicht sehen, kann der Verlust aus dem Frühjahr nicht mehr kompensiert werden. Selbst bei einer Vollauslastung nicht. Wie soll das gehen? Sollen denn etwa zusätzliche Stellen aufgestellt werden, die der Zahl der Ausfälle aus dem Frühjahr entsprechen? Auch auf der konditionellen Ebene funktioniert das leider nicht. Das Geld ist weg und kommt nicht so schnell wieder, da es schon teilweise in andere Kanäle geflossen ist oder schlicht eingespart wurde. Deshalb wird OoH mit minus 20 bis minus 40 Prozent aus dem Jahr rausgehen – je nach Anbieter, Portfolio und Fokus.
DOoH hat bisher nicht so sehr gelitten wie der klassische Bereich und wird sich auch vermutlich bis zum Jahresende weitergehend, aber auch nicht vollständig, erholen. Zusätzlich wirken die Stärken im Vergleich von klassischem OoH mehr denn je: DOoH ist flexibler in der Planung und Abwicklung, sowie dynamischer in der Leistungsverteilung. Denn diese ist wichtiger denn je, um den sehr unterschiedlichen regionalen und gar hyperlokalen Bedingungen in der Pandemie gerecht zu werden.
Allmählich nimmt die Mobilität wieder zu, die Straßen füllen sich. Was muss die Gattung jetzt leisten? Ja, das stimmt. Die Mobilität nimmt wieder zu. Nur welche Mobilitäten sind es? Wenn das DMI (Digital Media Institute) sagt, das „Vor-Corona-Niveau“ sei erreicht, würde ich das eher mit Vorsicht genießen. ÖPNV-basierte Mobilität hängt in der jetzigen Phase optimistisch gesprochen noch cica 10 Prozent hinterher im Vergleich zu Gehen und Fahren (Apple Mobility 2020). Und auch regional ist es unterschiedlich. Gerade die neuen Bundesländer erholen sich scheinbar schneller (Everyone Counts 2020). Die westdeutschen Flächenländer und Stadtstaaten hinken hier in der gesamten Mobilität hinterher. Wichtige Touchpoints sind auch grundsätzlich noch nicht da, wo sie waren: Bahnhöfe, Haltestellen, Arbeitsstätten, Wohnorte etc. Die Menschen sind tendenziell nach wie vor eher zu Hause.
Das heißt aber auch, dass sich – differenziert betrachtet – OoH nicht gleichmäßig erholt. Ich bin skeptisch, ob wir, was die Leistungswerte angeht, in diesem Jahr überhaupt an den Vorkrisenbenchmark kommen werden. Das ist aber die Chance für DOoH – wenn es genau die Differenziertheit der Mobilität und ihrer aktuellen divergenten Entwicklung in Planungsszenarien mit multiplen Targetingoptionen ermöglicht. Technisch? Überhaupt kein Problem! Es ist eher die Sperrung gegen den kleinteiligen Inventarausverkauf, der es bisher hemmt. Aber dies spiegelt die differenzierte Relevanz nicht wieder; ebenso wenig wie die Notwendigkeit weitere digitale Touchpoints in der Home- und Workbase mit Mobile, ATV, etc. zu integrieren, sprich in der jeweiligen hyperlokalen Lebenswirklichkeit eines jeden Konsumenten anzukommen. Klassische Flächen weichen digitalen Flächen. Flexibilität nimmt zu. Netze sind immer noch omnipräsent, aber da besteht auch wenig Bereitschaft selbst sowas wie „Corona Netze“ zu bauen, welche den veränderten Bedingungen gerecht werden. Da muss noch viel passieren. Unter dem Strich ist die Pandemie ein Beschleuniger der Transformation von OoH.
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