zurück zur Übersicht

Digitale Maßnahmen können den Prospekt nicht ersetzen

04.10.2022 | Dass bereits mehrere große Konzerne angekündigt haben, auf den Handzettel zu verzichten, hat eine Diskussion in der Werbebranche entfacht. Im Gespräch mit der new business und weiteren Experten diskutiert Katrin Floß, Managing Partner bei BRANDLOCAL, die Chancen und Risiken, die das Prospekt-Aus mit sich bringt.

Obi hat im Juni 2022 seinen gedruckten Prospekt eingestellt, Rewe will ab Sommer 2023 darauf verzichten. Mit der Abkehr vom Handzettel ist eine neuerliche Diskussion in der Branche über die Frage entbrannt, welche Strategie im Handelsmarketing die beste ist.

Dass der Prospekt keine Befürworter mehr hat, davon ist man noch weit entfernt. Man sehe sich bloß andere Handelsketten an, darunter Aldi, Lidl und Edeka, die weiter an Prospekten festhalten. Und auch der ein oder andere Mediaexperte bricht für die „Schweinebauchanzeige“ noch seine Lanze. Katrin Floß, Managing Partner der Crossmedia-Tochter Brandlocal, verweist in der Diskussion auf einen aktuellen Branchenbericht des BDZV. Dieser kommt zu dem Schluss, dass 70 Prozent der Erwachsenen ab 14 Jahren in Deutschland Anzeigen oder Beilagen in Tageszeitungen vermissen würden. Außerdem sagen 40 Prozent, dass Werbung in Zeitungen die wichtigste Möglichkeit ist, sich über Angebote zu informieren – über Werbung im Internet sagen dies nur 20 Prozent. Darüber hinaus haben 72 Prozent der vom BDVZ Befragten in letzter Zeit Prospektbeilagen aufgehoben oder sogar mit ins Geschäft genommen. Bei den 30- bis 49-Jährigen waren es sogar 75 Prozent.

(…)

nb: Große Handelskonzerne wie Rewe und Obi haben den Abschied vom gedruckten Prospekt verkündet. Ist diese Werbeform ein Auslaufmodell?

Katrin Floß: Viele Firmen bereiten diesen Schritt schon seit langem vor oder beschäftigen sich zumindest mit solchen Szenarien – und das schon weit vor einem Kriegsausbruch in der Ukraine und den daraus resultierenden Konsequenzen für Wirtschaft und Verbraucher:innen. Obi wie auch Rewe nutzen die Gunst der Stunde und trommeln lautstark für ihren Schritt, ganz nach dem Motto, wenn schon, dann machen wir auch eine Story draus. Diese klingt gut und fortschrittlich, ist aber zumindest in Teilen zu hinterfragen. Den Schritt aus der Printbeilage als umweltschonend zu verkaufen – bei gleichzeitigem Mehrinvest in digitale Medien – ist im besten Fall unsauber. Aber auch aus rein medialer Sicht entstehen Unschärfen: Die zuverlässig regelmäßig erscheinende Printbeilage ist ritualisiert und kommt „von allein“ zu den Kundinnen und Kunden, die sie nur aus seinem Briefkasten fischen und durchblättern muss. Die digitalen Alternativen setzen zumindest häufig eine App-Nutzung voraus – sei es auf den einschlägigen digitalen Markportalen oder die der Händler selbst. Die Printbeilage wird in einschlägigen Kreisen direkt neben die der Konkurrenz gelegt und so ein direkter Vergleich vorgenommen, der zumeist in einer Einkaufsliste (inkl. Einkaufsstätte der Wahl) mündet. Diesen Vergleich muss man sich digital zumindest aktiv beschaffen, wenn er weiterhin erfolgen soll. Die haptische Beilage wird nicht selten als Ergänzung der Einkaufsliste mit in den Laden genommen, die relevanten Seiten werden herausgetrennt etc. Darüber hinaus zeigt die b4t Trends sehr eindeutige Ergebnisse, was den Mehrwert von Print in Bezug auf die Kaufbereitschaft im Handel betrifft. So wirken crossmediale Mix-Kampagnen mit Print um 10 Prozent besser als Mix-Kampagnen ohne Print. Außerdem bietet die Rezeption in einer Lean-back-Haltung immer noch eine deutlich höhere Kontaktqualität als die Aufnahme von Handelswerbungwerbung per Funk oder Digitalwerbung. Das wissen auch Obi, Rewe und Co., so dass der Wegfall der Beilage auch nicht ausschließlich durch digitale Medien kompensiert werden soll. Rewe kündigt Anzeigen in klassischen Medien an, Drogerie Müller hat beispielsweise durch Funk kompensiert. Trotzdem ist der Schritt neu und lässt erahnen, dass Rewe es mit dem Fokus auf Owned-Kanäle und In-Store Marketing ernst meint. Damit reden wir über eine bewusste Schwächung von Paid-Media Optionen, was in der Entwicklung gespannt zu beobachten sein darf.

(…)

nb: Besteht mit dem Komplettverzicht auf den Prospekt nicht die Gefahr, dass wichtige Zielgruppen nicht mehr erreicht werden?

Katrin Floß: Ja, das denke ich schon. Die digitale Mediennutzung ist in jüngeren Altersgruppen stärker als in älteren. Aber die Funktionsweise einer Printbeilage kann auch in digital-affinen Altersgruppen nicht zwangsläufig durch digitale Maßnahmen substituiert werden.

(…)

nb: Ist der digitale Prospekt eine echte Alternative?

Katrin Floß: Neue oder längst verloren geglaubte Zielgruppen von Werbeverweiger:innen am Briefkasten können über andere Wege (wieder) erreicht werden. Digitale Verlängerungen erzeugen wertvolle crossmediale Kontakte, die nachweislich nachhaltiger sind als Monokontakte. Buchung und Abwicklung können naturgemäß viel agiler und spontaner erfolgen, Produkte können kurzfristiger in eine Aktion hinein oder heraus genommen werden. Auch KPIs sind besser zu dokumentieren und wir bekommen im digitalen Bereich Informationen über Öffnungsraten & Co., die wir im Printbereich nicht erhalten. So kann es aus meiner Sicht nicht um eine Entweder-oder-Entscheidung gehen, sondern vielmehr um die Entwicklung einer belastbaren hybriden Strategie, die das eine nicht ausschließt und das andere zunehmen zulässt.

(…)

nb: Welche weiteren Werbeformen werden künftig im Handelsmarketing dominieren?

Katrin Floß: Der Markt probiert sich aus. Es werden zahlreiche Testszenarien im Digitalen aufgesetzt, neue Werbeformen etwa über WhatsApp sprießen aus dem Boden, die Anbieter der Digitalen Beilage wittern Morgenluft und bringen sich in Stellung, teilweise mit schamloser Kommunikation von Katastrophenszenarien. Aber auch der Einsatz klassischer Medien mit neuer, aktivierender Funktionsweise wird zu Testzwecken in Erwägung gezogen. Es darf gespannt beobachtet werden, was sich durchsetzen kann und für die jeweilige Zielgruppe funktioniert.

(…)

Das gesamte Interview mit Katrin Floß und weiteren Experten finden Sie in der new business, Ausgabe 40/2022.

© Jan Ladwig

zurück zur Übersicht

Wir optimieren Ihren lokalen Erfolg